Pride ist politisch. Was einst als Aufstand gegen Polizeigewalt in der Christopher Street begann, ist heute vielerorts ein Fest der Vielfalt. Queere Menschen auf der ganzen Welt feiern im Juni – und darüber hinaus – ihre Identität, ihre Sichtbarkeit, ihre Erfolge. Doch wo gefeiert wird, fließt auch Geld. Und wo Geld fließt, lassen sich auch Unternehmen und Veranstalter nicht lange bitten. Das Resultat ist ein Trend, der in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar geworden ist: Pinkwashing.
Pinkwashing bezeichnet die Praxis, sich als LGBTQIA+-freundlich zu präsentieren, ohne substanzielle Maßnahmen oder echte Solidarität zu zeigen. Es ist ein oberflächliches Schmücken mit Regenbogenfarben, während echte Unterstützung oder politische Haltung fehlen. Besonders im Pride-Monat boomt diese Strategie – und mit ihr auch die Kritik. Denn viele Menschen, die die Pride-Wochen aktiv mitgestalten oder besuchen, stellen sich längst die Frage: Wer meint es ernst – und wer nur dann, wenn sich der Regenbogen auszahlt?
Wenn der Regenbogen zur Verkaufsmasche wird
Pinkwashing ist leicht zu erkennen, wenn man weiß, worauf man achten muss. Es geht dabei nicht um sichtbare Regenbogenfarben allein – sondern um ihre Motivation und Konsequenz. Ein Unternehmen, das im Juni sein Logo bunt einfärbt, aber keine queeren Mitarbeitenden beschäftigt oder interne Diversitätsprobleme ignoriert, tut dies oft nicht aus Solidarität, sondern aus Kalkül.
Ein klassisches Beispiel: Ein Tourveranstalter bietet während der Pride spezielle „Rainbow-Touren“ an – Stadtführungen, Ausflüge, Restaurantbesuche. Die Werbebilder zeigen Vielfalt, das Branding ist bunt, aber bei genauerem Hinsehen gibt es keine Verbindung zur queeren Szene vor Ort. Kein Cent der Einnahmen geht an lokale LGBTQIA+-Organisationen, queere Geschichte wird nicht thematisiert, und die gesamte Tour ist von Menschen geplant und durchgeführt, die mit der Community wenig bis gar nichts zu tun haben.
Auch viele kleine Geschäfte oder Gastronomiebetriebe schmücken sich während der Pride mit Regenbogenfahnen oder verkaufen bunte Getränke. Doch sobald das Event vorbei ist, verschwindet jede Spur von queerer Präsenz. Im restlichen Jahr gibt es keine queeren Mitarbeitenden, kein inklusives Personaltraining, keine Unterstützung für Community-Projekte. Auch das ist Pinkwashing – nur im Kleinformat.
Warum Pinkwashing der Community schadet
Auf den ersten Blick mag Regenbogen-Marketing harmlos wirken. Sichtbarkeit ist doch gut, oder? Doch Sichtbarkeit allein bringt wenig, wenn sie ohne Verantwortung kommt. Pinkwashing verzerrt das Bild einer Bewegung, die auf Widerstand, auf Kämpfen, auf politischem Aktivismus basiert. Es vermittelt den Eindruck, Gleichstellung sei erreicht – und verdrängt die realen Herausforderungen, mit denen queere Menschen nach wie vor konfrontiert sind.
Schlimmer noch: Es lenkt Ressourcen und Aufmerksamkeit von denjenigen ab, die sie dringend brauchen. Lokale Initiativen, gemeinnützige Organisationen, queere Künstler*innen und Sozialprojekte arbeiten das ganze Jahr über für echte Veränderung – oft mit geringen Mitteln. Wenn Unternehmen und Veranstalter den queeren Raum dominieren, ohne etwas zurückzugeben, wird Pride zur Bühne für Profite – nicht für die Community.
Der Pride-Tourismus als Brennpunkt
Ein besonders sensibler Bereich ist der Tourismus rund um Pride-Events. Viele queere Menschen reisen gezielt zu großen Veranstaltungen: nach Berlin, Madrid, Tel Aviv oder nach Gran Canaria, wo mit dem Maspalomas Pride und weiteren Events gleich mehrere Pride-Wochen jährlich stattfinden. Und natürlich ist es gut, wenn queere Menschen gemeinsam feiern, sich sicher fühlen und Räume einnehmen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Wer profitiert davon?
Auf den Kanaren – wie auch an vielen anderen beliebten Pride-Destinationen – gibt es Anbieter, die unter dem Label „Pride“ Events, Touren oder Partys organisieren, die sich stark auf das touristische Interesse konzentrieren. In manchen Fällen fehlt dabei der sichtbare Bezug zur lokalen LGBTQIA+-Community – etwa in Form von Zusammenarbeit mit queeren Organisationen, Rückführung von Gewinnen an Community-Projekte oder thematischen Inhalten mit Bezug zur queeren Geschichte. Der Fokus liegt häufig auf dem Eventcharakter, während gesellschaftliche Aspekte in den Hintergrund treten. Das muss nicht grundsätzlich negativ sein – doch gerade bei Pride-Veranstaltungen lohnt es sich, genauer hinzuschauen, wie stark ein Angebot tatsächlich mit der Community vor Ort verbunden ist.
Besonders auffällig wird das bei Betrieben, die sich ausschließlich während der Pride-Woche mit Regenbogenfarben und LGBTQIA+-Symbolik schmücken, um kurzfristig zu profitieren – etwa durch Getränkestände, Merchandise oder spezielle Angebote – aber darüber hinaus keinerlei Verbindung zur queeren Realität zeigen. Solche Symbolik wirkt schnell beliebig, wenn ihr keine Haltung folgt.
Wie erkennt man echtes Engagement?
Zum Glück lässt sich Pinkwashing entlarven – und echtes Engagement erkennen. Wer sich nicht blenden lässt, kann gezielt jene unterstützen, die wirklich zur Community stehen.
Ein zentrales Kriterium ist die Ganzjährigkeit des Engagements. Wer nur im Juni laut wird, aber den Rest des Jahres schweigt, ist kein Verbündeter, sondern ein Mitläufer. Betriebe, die queere Mitarbeitende beschäftigen, inklusive Sprache nutzen, queere Themen sichtbar machen oder aktiv gegen Diskriminierung vorgehen, zeigen Haltung – und das jeden Tag.
Ein weiterer Punkt: Transparenz. Wird klar kommuniziert, wohin Einnahmen fließen? Gibt es Kooperationen mit queeren Gruppen oder Organisationen? Wird queere Geschichte oder Kultur thematisiert? Oder ist alles rein kommerziell?
Auch wichtig ist, wer hinter dem Angebot steht. Kommen queere Menschen zu Wort? Planen sie mit? Verdienen sie mit? Oder sind sie nur Deko?
Positive Beispiele aus Maspalomas: Was echte Unterstützung bedeutet
Dieser Artikel bietet eine allgemeine Perspektive auf Pinkwashing, wie es weltweit auftritt – und ist kein Rundumschlag gegen Veranstalter oder Unternehmen. Gerade auf Gran Canaria, insbesondere in Maspalomas, gibt es zahlreiche positive Gegenbeispiele, die zeigen, wie Pride, Tourismus und echte Community-Handlungsräume zusammengehen können.
Im Yumbo-Zentrum etwa gibt es eine Vielzahl an Bars, Restaurants, Geschäften und Veranstaltungsorten, die von Mitgliedern der LGBTQIA+-Community geführt werden und durch ihre Alltagspraxis zeigen, was gelebte Inklusion bedeutet. In vielen dieser Betriebe arbeiten queere und heterosexuelle Menschen selbstverständlich Seite an Seite. Hier herrscht ein Miteinander, das keine großen Symbole braucht – weil die Community selbstverständlich Teil des Betriebs ist. Und das zeigt Wirkung: Viele dieser Orte haben Erfolg, ohne sich laut mit Regenbogen zu schmücken – weil sie authentisch und offen sind.
Auch größere Betriebe übernehmen Verantwortung. In Spanien sind Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden gesetzlich verpflichtet, ein Diversitätsprogramm zu führen. Das schafft einen rechtlichen Rahmen, der vielerorts aktiv genutzt wird – etwa durch Diversity-Schulungen, klare Antidiskriminierungsrichtlinien und sichtbare queere Mitarbeitende. Einige Hotels auf Gran Canaria setzen dies überzeugend um – auch außerhalb der Pride-Saison.
Diese Strukturen, diese Arbeitskultur und diese Menschen verdienen gerade während der Pride gezielte Unterstützung. Denn sie tragen das ganze Jahr über dazu bei, dass queeres Leben sichtbar, sicher und selbstverständlich ist – nicht nur dann, wenn die Straßen bunt geschmückt sind.
Was du konkret tun kannst
Die gute Nachricht: Jede*r kann etwas tun, um Pinkwashing nicht nur zu erkennen, sondern zu unterlaufen. Es beginnt mit Aufmerksamkeit – und mündet in Entscheidungen:
Unterstütze lokale, queere Betriebe. Ob Café, Bar, Laden, Tattoo-Studio oder Touranbieter – wer von queeren Menschen geführt wird, kennt die Bedürfnisse der Community am besten. Und das Geld bleibt dort, wo es gebraucht wird.
Frage nach. Wer organisiert das Event? Wohin fließen die Einnahmen? Gibt es Kooperationen mit queeren Gruppen? Wer profitiert?
Meide Angebote, die nur auf Regenbogen-Optik setzen. Wenn ein Betrieb sich nur während der Pride „queer-friendly“ zeigt, aber sonst kein Engagement zeigt, ist Vorsicht angebracht.
Verstärke queere Stimmen. Teile Erfahrungen, gib Empfehlungen weiter, mach Sichtbarkeit möglich – auch für kleinere Projekte, die vielleicht keine großen Budgets haben.
Feiere – aber bewusst. Pride darf laut, bunt und fröhlich sein. Aber sie sollte auch eine Verbindung zur Realität queerer Menschen behalten – und zur Geschichte, aus der sie entstanden ist.
Fazit: Pride ist keine Kampagne – es ist eine Bewegung
Pinkwashing ist kein harmloser Trend. Es nimmt einer politischen Bewegung ihre Tiefe, ihre Geschichte und ihre Glaubwürdigkeit. Es reduziert queere Identität auf Marketing und entpolitisiert eine Tradition, die aus Protest geboren wurde.
Doch es liegt an uns, wie wir darauf reagieren. Indem wir bewusst entscheiden, wem wir unsere Aufmerksamkeit und unser Geld geben, können wir dafür sorgen, dass Pride nicht zur Verkaufsfläche wird – sondern ein Ort bleibt, an dem echte Sichtbarkeit, Solidarität und Gemeinschaft wachsen.
Gran Canaria ist dabei ein gutes Beispiel dafür, dass es auch anders geht – wenn man hinschaut, hinterfragt und bewusst unterstützt. Die vielen queeren und inklusiven Betriebe auf der Insel verdienen mehr als flüchtigen Applaus – sie verdienen echten Rückhalt. Nicht nur im Juni, sondern das ganze Jahr.
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